Home Staaten kommen und gehen. In: Wiener Zeitung. 24. 11. 2012. S. 2. Staaten kommen und gehen.Spanien und die EU können kurzfristig aufatmen. Der separatistische Regierungschef Kataloniens und seine Partei haben einen Dämpfer erhalten und das Wahlziel weit verfehlt. Aber: Die Parteien, die Katalonien von Spanien abspalten wollen, sind insgesamt gestärkt worden. Das Thema bleibt aktuell auf der Tagesordnung. Die helle Aufregung von EU-Repräsentanten mit versteckten Drohungen an die Separatisten ist nicht nachvollziehbar. Staaten entstehen, Staaten verschwinden. Das ist nichts Ungewöhnliches in der Geschichte. Siehe den Zerfall der Sowjetunion, Jugoslawiens und Serbiens. Die Abspaltungen Montenegros und des Kosovo wurden von der EU mit Sympathie begleitet. Man darf nicht mit zweierlei Maß messen. In Diktaturen führen Abspaltungen meist zu Kriegen. In Demokratien sollten Wege der friedlichen und demokratischen Lösungen gefunden werden, wie etwa im Fall der Trennung der Slowakei von Tschechien. Die Gründe liegen nahezu immer in der Unzufriedenheit mit dem Gesamtstaat und dessen Unfähigkeit, einen konstruktiven Dialog mit seinen Regionen über deren Wunsch nach mehr Eigenständigkeit zu führen. Wenn dieser verweigert wird, erschallt der laute Ruf nach Abspaltung. Vor allem in wirtschaftlich kritischen Zeiten fühlen sich die ökonomisch stärkeren Regionen (selbst von der Krise stark betroffen) von der Zentralregierung abgezockt. Katalonien bekommt nur ein Drittel seines Steueraufkommens zurück. Über eine Neuregelung zu verhandeln, wurde von der Zentralregierung abgelehnt. Daraufhin schrieb Katalonien vorzeitige Neuwahlen aus. Der Teufelskreis setzte sich fort: Der spanische Nationalstaat machte noch mehr Druck, agierte noch zentralistischer, manche drohten mit der „Hispanisierung“ der katalonischen Kinder. Die separatistischen Emotionen kochten. In Katalonien sitzen außerdem noch die Wunden aus der Zeit von Diktator Francisco Franco sehr tief. Seine Regentschaft von 1939 bis 1975 war von brutalen Repressionen gegenüber Katalonien gekennzeichnet, die katalanische Sprache war geächtet, viele Ortsnamen wurden ins Spanische übersetzt, der Schulunterricht fand bis 1967 ausschließlich auf Spanisch statt. Erst seit 1978 genießt die Region Katalonien einen hohen verfassungsmäßig abgesicherten Autonomiestatus, allerdings keine Steuerautonomie. Wenn die britische Regierung ihren irrational anti-europäischen Kurs fortsetzt, wird die Stimmung für eine Abspaltung im europafreundlichen Schottland noch intensiver werden. Schottland bringt auch alle Voraussetzungen für einen neuen EU-Mitgliedstaat mit sich. Und ist gewillt, in die Euro-Zone einzutreten. Europa kann nicht nach Gutdünken reagieren, es muss objektive Kriterien für ein Ausstiegsszenario schaffen, das für alle gilt. Ebenso für die Verschmelzung eines Landes mit einem anderen. Wie etwa bei der Unabhängigkeit Montenegros. Die EU legte die Mindestbeteiligungsquote mit 50 Prozent und die Mindestzustimmungsquote mit 55 Prozent fest. Erst als diese beiden Kriterien durch das Unabhängigkeitsreferendum erfüllt wurden, folgte die Anerkennung. Ebenso muss ein verkürztes Aufnahmeverfahren für neue Staaten, die sich von einem EU-Mitgliedstaat abgespalten haben, geschaffen werden. Auch wenn Schottland, das Baskenland, Belgien, Grönland, Korsika, Norditalien, Südtirol, die Vojvodina und Nordzypern latente Fälle für Unabhängigkeitsbestrebungen sind, ist in der EU Gelassenheit gefragt. Zuallererst sind dies langwierige innerstaatliche Angelegenheiten. Oberstes Ziel für die EU muss sein, dass die Prozesse friedlich ablaufen. Home |